Roter und weißer Sauser

Für Weinliebhaber gehört er mit dem Zwiebelkuchen zum Herbst wie Erntekrone und Pilze. Die Rede ist vom neuen Wein. Dieser prickelnde, unfertige, oft noch süße Schäumer hat viele Namen. Am gebräuchlichsten ist die Bezeichnung Federweißer oder Federroter, aber auch Sturm und Sauser sind geläufig. In einigen Regionen bestellt man auch einen Bremser, Rauscher oder Bitzler. Der neue Wein ist kein fertiger Wein. Er ist ein unfiltrierter Traubenmost, bei dem die alkoholische Gärung gerade eingesetzt hat. Je nach Gusto kann man ihn mit viel Süße und wenig Alkohol oder mit wenig Süße und viel Alkohol geniessen. Durch die Hefen, welche mit der alkoholischen Gärung beschäftigt sind, ist er immer in Wallung. Den Prozess kann man durch Kühlung hinauszögern. Da die Hefen den Zucker fressen und dann Alkohol und Kohlendioxid ausscheiden, wird empfohlen, die Flaschen oder Kanister nicht vollends zu verschliessen, so kann das Gas entweichen. Und es kommt nicht zu Bombagen. Ein liegender Transport kann auch nicht empfohlen werden. Hier hat man dann durch klebriges Auslaufen einen erheblichen Schwund zu beklagen. In der Regel werden frühe Rebsorten, die oft schon Anfang September geerntet werden, verwendet. Die beliebtesten Rebsorten für Spezialisten sind Siegerrebe, Ortega und Bacchus. Einige Erzeuger, die aus ihren hochwertigen Rebsorten große Weine und Prädikatsweine erzeugen, halten sich zum Thema Federweißer zurück. Sie haben bei fertigen Prädikatsweinen einen wesentlich besseren Ertrag. So kommt es, dass der weinselige Tourist in der Rüdesheimer Drosselgasse oft keinen Rheingauer Federweißen trinkt. Hier wird dann ein günstiger Sauser aus der Pfalz feilgeboten. Die Wirkung ist am Ende die gleiche. Mit etwa 4% Alkohol wird der Neue ins Rennen geschickt; er kann dann seinen Alkoholgehalt durch die fleißig arbeitenden Hefen auf bis zu 11% erhöhen. Bei Kühlung arbeiten die Hefen langsamer oder stellen ihre Arbeit ein. Oft wird der süße wohlschmeckende Schäumer, was seinen Alkoholgehalt betrifft, unterschätzt, da die Süße den Alkohol kaschiert und auch beim Trinken die Arbeit der Hefen im Glas oder in der Flasche weitergeht. Der neue Wein enthält zudem Milchsäurebakterien und viel Vitamin B1 und B2. So regt er den Darm in seiner Arbeit an und befördert die Peristaltik.

Frank Schollenberger
Sommelier